District sleeps alone tonight

I won’t be the one to disappoint you anymore.

Ich vermisse dich, aber ich würde das niemals zugeben. Es erscheint mir albern, jetzt noch die letzten Gefühle aus unserer Geschichte zu pressen wie den letzten Saft aus einer halb vertrockneten Zitrone. Die Sache mit uns scheint Jahrzehnte her zu sein, obschon sie es nicht ist. Jedes Mal, wenn ich die Hand nach den letzten Erinnerungen ausstrecke, scheint mein Arm wieder ein Stück kürzer geworden zu sein.

Manchmal kommt es mir plötzlich vor, als sei es gestern gewesen, als ich das letzte Mal neben dir aufgewacht bin. Doch die Zeit drängt sich nun einmal zwischen mich und dich und alles, was damals war, und sie wird immer größer und dichter, und wenn man zurück blickt, hat sich Nebel über die ganze Szenerie gelegt und man sieht kaum mehr die Hand vor Augen.

So schön war das damals alles, möchte man sagen, ohne vorher darüber nachzudenken. Wenn man sich erinnern würde, wüsste man, dass das gelogen ist. Aber das würde der Dramaturgie nicht gut tun. So beschissen war das damals alles, müsste man wahrheitsgemäß  eher sagen, und: Manchmal vermisse ich es dennoch.

Das letzte Mal, das ich neben dir aufgewacht bin – da haben keine Vögel draußen vor dem Fenster gezwitschert. Die Sonne schien nicht durchs Fenster herein und kitzelte nicht unsere Nasenspitzen. Unsere Bettwäsche war nicht blütenweiß und wir erwachten nicht aus den wunderschönsten Träumen. Es war dunkel, die Vorhänge zugezogen, die Luft im Raum war so schlecht, dass ich kaum atmen konnte. Wahrscheinlich lag ich minutenlang still da und suchte nach Strategien, um alles besser zu machen. Alles zu retten. Dann musste ich aufstehen und raus. Ich habe keine Strategie gefunden, bis heute nicht.  Das ist der Grund, warum es das letzte Mal war, das ich neben dir aufwachte.

Und jetzt liegt der Nebel dicht und ruhig und kalt, und alles darunter ist die meiste Zeit eingefroren und kaum noch lebendig. Manchmal betrete ich den vor Kälte steinharten Boden der Vergangenheit und balanciere vorsichtig vorwärts. In anderem Licht, unter anderen Umständen wirkt das alte Revier seltsam fremd und vertraut zugleich, wie eine optische Täuschung schweben Erinnerungen vor mir, die sich nicht greifen lassen und sofort wieder verschwinden, wenn sie zu sichtbar zu werden drohen. Ich erwarte von mir: Tränen und Traurigkeit und Bedauern und Selbstmitleid. Doch nichts geschieht. Der Boden tut sich nicht unter mir auf. Es blitzt und donnert nicht vom Himmel. Keine Flutwelle, keine Sturmböen, keine Vulkanausbrüche. Keine Tränen. Mit kleinen, vorsichtigen Schritten wate ich durch die Erinnerungen, die ohnehin kein klares Bild ergeben. Am Ende stehe ich da und bin wieder draußen und alles ist weg und wie zuvor. Es fühlt sich fremd an, kein Teil des Ganzen mehr zu sein. Mehr nicht. Das neue Leben steht auf der anderen Seite des Zauns und hat mit dem alten so rein gar nichts zu tun, und das alles kann man ohne Melancholie betrachten und einfach so hinnehmen.

So habe ich mir das alles nicht vorgestellt. Manchmal frage ich mich, ob diese Art der Betrachtung der Sache würdig ist. Ob es nicht von vornherein angebrachter gewesen wäre, zu weinen und zu schreien und sich dem Tod nah zu fühlen ob der Tatsache, dass nun alles vorbei ist. Sich zu weigern, einfach alles hinzunehmen. Noch ein letztes Mal alles in die Waagschale werfen, um das Unheil abzuwenden, das vielleicht im Nachhinein gar nicht als solches betrachtet werden kann. Alles mit einem großen Unwetter,  mit Blitz und Donner und eimerweise Regen zu einem Abschluss bringen.

Heute stehen wir hier. Ich sehe dich an und weiß: Du hast noch viel weniger über alles nachgedacht als ich.

Ich will mich hinlegen und eigentlich nur die Augen schließen und einschlafen und so schnell nicht wieder aufwachen. Aber du legst dich mir gegenüber und ich muss dich immerzu ansehen, ohne zu wissen, warum überhaupt. Wie gerne würde ich kitschige Gedanken denken und schwulstige Worte sagen, doch es bleibt still. Ganz plötzlich schwimmen wir im klaren und eiskalten Wasser der Realität, ganze ohne duftenden rosa Badezusatz. Das Wasser ist klar und tief, ohne Probleme kann man bis auf den Grund sehen, und, meine Damen und Herren, wie Sie sehen, sehen Sie: Nichts. Da ist nichts mehr. Ich möchte weinen ob der radikalen Abwesenheit von Etwas, und eine Anstandsträne macht sich auf den Weg aus meinem Auge hinaus in die Welt. Das war es. Das war es also mit uns. Eine große Sache, das weiß ich, wenn sie auf Papier niedergeschrieben wäre, dann auf jeden Fall in Großbuchstaben, und irgendwo in mir, da ist sie noch immer groß und melodramatisch und zum Weinen schön und mit tragischem Ausgang. Doch hier, da wo wir jetzt sind, da sind wir zwei Menschen ohne Anknüpfungspunkte, wir bewegen uns auf der Welt vollkommen unabhängig voneinander. Wir gehen unterschiedliche Wege, haben unterschiedliche Ziele und völlig widersprüchliche Ansichten über die Welt. Dass es sich noch immer wie Nach-Hause-kommen anfühlt, dich zu treffen, ist reiner Zufall. Ein Zusammenspiel vieler kleiner Nichtigkeiten ohne Bedeutung.

Meine Augen fallen zu. Du liegst noch immer neben mir. Was wäre, wenn ich morgen einfach wieder neben dir aufwachen würde? Wäre alles so wie früher oder ganz anders? Wir werden es nie herausfinden. Die Welt hat sich ohne uns weitergedreht, und vielleicht ist sie ein besserer Ort als damals, für dich und für mich.

Als ich aufwache, bist du nicht mehr da. Die Sonne scheint durchs Fenster herein und kitzelt meine Nasenspitze.

3 Gedanken zu “District sleeps alone tonight

  1. Woooha.
    Ich bin geflasht (sagt man das so?! Ich jedenfalls… ich glaub, das triffts) wie sonst nur was und fasziniert und begeistert und irgendwie erfasst und dafür erstaunlich gefasst.
    Herzlichen Glückwunsch zu sowas super genialen.
    (Eine Frage bloß, – The district sleeps alone tonight, – anspielung auf ‚The Postal Service?!)

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